Wie fühlt sich Slacklinen an einem aktiven Vulkan an?
Wie fühlt sich Slacklinen an einem ausbrechendem Vulkan an?
Alex beschreibt, wie es sich anfühlt, neben >900°C heißen Lavabomben zu laufen und von Schockwellen von der Slackline geschmissen zu werden?
04.04.2020, über dem Vulkankrater des Yasur
Ich stehe 20 Meter vorm Ende, an dem mein Vater steht und auf mich wartet. Ich kann sehen, dass er aufgeregt ist. In dem Moment höre ich die Explosion, die den nächsten Ausbruch ankündigt – in der nächsten Sekunde schießt am Rand meines Blickfeldes eine Lava-Fontäne empor und ich spüre die Hitze. Kurz darauf kommt die Schockwelle, auf die ich aber diesmal vorbereitet bin.
Das ist heute der letzte von drei Tagen, an denen ich auf der 260m langen Line war.
Beim ersten Mal haben wir sehr starken Wind, fast schon Sturm. An ein Durchlaufen ist daher nicht zu denken, außerdem werde ich noch näher zum Krater hingedrückt. Noch nie war ich einer Naturgewalt so nah! Der Blick auf die Casio-Uhr verrät mir, dass mein Puls bei 120 ist. Das Gefühl des Ausgeliefertseins erinnert mich an die 650m lange Nylon-Line in der Auvergne, wo ich bei 100km/h versucht habe, über einen erloschenen Vulkan zu balancieren. Wie damals habe ich keine andere Wahl als die Angst zu akzeptieren und mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Doch hier auf einem aktiven Vulkan gibt es zusätzlich die Bedrohung durch glühendes Gestein, das gefühlt jederzeit auf mich einprasseln kann, obwohl die nächsten Brocken noch mindestens 50m entfernt herunter fallen. Bei jedem Brüllen des Vulkans setzt mein Puls kurz aus, um danach umso schneller zu schlagen.
Beim zweiten und dritten Mal auf der Line weicht die nackte Angst vor dieser Urgewalt Respekt und Bewunderung. Die emporschießenden rot-glühenden Lavafontänen und die mächtigen Aschewolken ziehen mich so in ihren Bann, dass ich manchmal nicht anders kann, als stehen zu bleiben und das Spektakel anzuschauen. Es fühlt sich unwirklich an, das zu erleben, fast wie ein Traum. Gleichzeitig fühle ich mich im Angesicht dieser Naturgewalt so lebendig und präsent wie noch nie in meinem Leben.
Rafael hat mich bereits gewarnt: Die Schockwellen der Explosionen können dich von der Line werfen. Sie sind so stark, dass man sieht, wie sie durch die Luft rasen und den Rauch eine Millisekunde lang durchschütteln. Wie ein Erdbeben in der Luft. Offenbar setzt diese Schockwelle auch die Flüssigkeit des Gleichgewichtsorgans im Innenohr in Bewegung, was uns mehrfach zum Verhängnis wird. Meine Technik besteht darin, ähnlich wie bei einer starken Windböe, schnell alles anzuspannen und leicht in die Knie zu gehen.
Bei diesem Lauf hat es mich immer vor einem Fall bewahrt und ich gehe die letzten Meter durch den Schwefeldampf auf den Kraterrand zu.
Von der Line falle ich meinem Vater in die Arme. Mit der Umarmung fällt die ganze Anspannung ab. Ich bin dankbar, gemeinsam mit ihm an diesem Ort zu sein und diese Gefühle erlebt haben zu dürfen, die sich nicht in Worte fassen lassen.
Alles ist im Kasten, fünf Minuten nach meiner Ankunft gibt es einen Wolkenbruch, der sich gewaschen hat. Jetzt ist es egal, dass das Material nass wird. Es fühlt sich nach Fügung an. Die Abreise steht bereits morgen an und in fünf Tagen würden wir bereits wieder zuhause sein.