Johannes @ South by Southwest
South by Southwest, Austin 2019
Eine Serie merkwürdiger Zufälle
Einige Monate nach der Produktion von BuildingBridges in den USA lud mich Christoph Mücher, der Direktor der „Wunderbar Together“-Kampagne, zum South by Southwest Festival nach Austin ein, um den Social Edit von BuildingBridges zu präsentieren.
Zu der Zeit war die Postproduktion der Doku und des kurzen Social Edits bereits abgeschlossen, aber eine gigantisch hohe und steile Granitwand hinderte mich an der Fertigstellung des Kurzfilms: ein authentisches Skript, die passende Erzählstimme für den inneren Monolog des Protagonisten und die Filmmusik. Alles Kernelemente des Films. Ich war mir deshalb einfach nicht sicher, ob ich der Einladung folgen und nach Austin fahren sollte.
Der Interkontinentalflug, die Zeitverschiebung, aber vor allem das Gefühl, dass ich vor meiner Arbeit zuhause - den substanziellen Produktionsfragen - davonrennen würde, beschäftigen mich. Gott sei Dank vertraute ich meinem Bauchgefühl, überredete den kleinen, zweifelnden Mann in meinem Kopf mit der Hoffnung darauf, in Texas einen authentischen Sprecher und somit die geeignete Stimme für das Skript zu finden. Und zudem unter dem inspirierenden Einfluss neue Erlebnisse und Eindrücke in Amerika Kreativität zu tanken.
Das South by Southwest ist eines der größten Festivals in den USA mit Main Acts in den Bereichen Musik, Film, Gesellschaft/Erziehung und Technologie. Die meisten Besucher sind Ende zwanzig und im kreativen Sektor tätig. Unnötig zu erwähnen ist, dass der Großteil der Besucher zur nicht gering verdienenden Gesellschaftsschicht gehört - 37 Prozent der Teilnehmer haben ein stolzes Jahreseinkommen von mehr als 150 000 Dollar.
Insgesamt zählte das SXSW dieses Jahr 232.258 Besucher und ich habe in meinem Leben noch nie zuvor etwas Vergleichbares erlebt. Das SXSW ist so groß, dass alleine im Filmbereich 150 Weltpremieren gefeiert wurden. Von Vorträgen zu Themen wie Digitaler Fermentation von „The New Japan Islands (by Yoichi Ochiai), bis hin zu Konzerten von Cypress Hill war alles und jedes und jeder zugange.
Was mich am meisten überraschte und mich in meinem inneren Wunsch bestärkte, schnell und weit weg von den neuen Technologien zu rennen, war die einnehmende Anzahl von VR-, AR- und AI-Künstlern und Performances. Nahezu jeder Programmpunkt stand damit in Verbindung. Diese neuen Geräte mit ihren künstlichen Realitäten und ihren cleveren Codes verändern gerade maßgeblich den Weg, wie wir Dinge erschaffen und von ihnen erzählen. Ich fühlte mich verloren. Gerade war ich erst im Begriff richtig zu lernen, wie man eine einfache Geschichte emotional erzählt und nun, umgeben von dieser neuen Welt, kam ich mir mich ein wenig wie sich meine Großmutter wahrscheinlich fühlen würde, hätte sie jemals ein Smartphone in der Hand gehalten.
Abseits all dieser unglaublichen Dinge, die das SXSW zu bieten hatte, galt es für mich immer noch meine zwei essentiellen Probleme lösen. Die Erzählerstimme und die Filmmusik.
Das zweite Problem war überraschend schnell gelöst. Das South by Southwest ist ein Paradies für jeden Networker. Im Bruchteil von Sekunden beginnen Menschen dort miteinander zu sprechen, tauschen sich aus, vernetzen sich. Eine Besonderheit, die ich an Amerika so zu schätzen lernte und hier in Deutschland übrigens oft vermisse.
Dennoch fühlte ich mich des Öfteren ein wenig überwältigt von der gewaltigen Gesprächsbereitschaft in der amerikanischen Kreativszene. So fand ich mich eines Abends auf einer weiteren Networkparty etwas abseits an der Bar, zu müde und geflasht von der Sinnesüberflutung, nicht in der Stimmung schon wieder zu connecten. Zwei Stühle neben mir saß ein Amerikaner, dem es scheinbar ähnlich ging wie mir. Unsere Blicke trafen sich zwei, dreimal und nach einem längeren Schweigen begann er schließlich doch das Gespräch. Sein Name war Justin Michael La Vallee. Es stelle sich heraus, dass er Musikcomposer war, in Berlin lebend und aus Manhattan stammend, der neben vielen anderen Filmen den Soundtrack für „Inuk“ produziert hatte. Inuk war 2010 in der Kategorie „Bester Fremdsprachiger Film“ für einen Oskar nominiert worden. Christoph und ich hatten sofort ein gutes Gefühl – was für eine schöne Möglichkeit auch hier wieder einmal Brücken zwischen Deutschland und Amerika zu schlagen. Justin lud mich auch gleich nach Berlin in sein Studio ein (Link Blog Soundtrack).
Wie der Zufall es einmal wieder wollte, hatte sich eines meiner beiden Probleme plötzlich in Luft aufgelöst. Nun galt es noch die richtige Stimme, die den inneren Monolog im Film sprechen sollte, zu finden.
Frühmorgens am Tag darauf entschied ich mich nach Lockhart zu fahren. Die Menschen in Austin sagten mir, dass das Barbecue dort erfunden worden sei, was natürlich als wichtiger Bestandteil amerikanischer Kultur gilt. Die Fahrt dauerte 40 Minuten, es war eine wahre Wohltat für die Seele der lärmenden Großstadt zu entfliehen. Ich kam von Süden, stoppte spontan noch bei einem Second-Hand-Laden am Stadtrand. Dort wurde ich wieder einmal Zeuge der amerikanischen Magie. Sanft wurde ich in ihr weiches Himmelbett aus Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft ebettet.
Ich hatte die Frau an der Kasse gefragt: „Wo kann ich die beste Stimme in der Stadt finden?“. Sie antwortete mir: „Schau zu Smitty`s Market, er ist Metzger und macht das beste Barbecue, er kann Dir helfen!“. Woraufhin ich zu Smitty`s Market fuhr, wo mir jedoch anstatt der richtigen Stimme ein großes Stück Steak serviert wurde. The Metzger war sehr freundlich, seine Stimme leider nicht passend. Smitty schickte daraufhin mich zum Bürgermeister von Lockhart, dieser wiederum schickte mich zur Handelskammer, wo die Wände mit Fotos der besten Unternehmen des letzten Jahrhunderts gerahmt waren. Die meisten von ihnen natürlich Barbecue-Restaurants.
Die zuständige Frau dort rief einen alten Freund zur Hilfe, einen pensionierten Richter, der mich mit den Worten begrüßte: „Ich bin vom ganzen Herzen ein Republikaner, aber was gerade im Weißen Haus passiert, tut mir ehrlich leid“. Er schenkte mir ein Buch, das er geschrieben hatte. „They Gave Their All“ - eine amerikanische Interpretation des zweiten Weltkrieges.
Ich begann ihn den Text lesen zu lassen, aber bereits nach den ersten Worten fiel mir sein sehr starker, texanischer Akzent auf. Er rief einen Freund zur Hilfe. Jerry L. Cooke PhD, ein alter Jugend Freund des Richters kam vorbei. Ein halbes Jahrhundert zuvor waren die beiden zusammen in die gleiche Klasse gegangen. Diese Reihe an Zufällen veränderte nun alles. Für eine gefühlte Ewigkeit war ich auf der Suche nach der richtigen Stimme für den Kurzfilm gewesen. In Deutschland hatte ich viele verschiedene professionelle Stimmen gehört, aber keine von ihnen hatte in mir dieses aufgeregte Gefühl ausgelöst, endlich die perfekte gefunden zu haben Die Suche nach dem letzten Puzzlestück war der Grund für etliche schlaflose Nächte gewesen, in Zeiten, in denen ich am ganzen Projekt zweifelte.
Als Jerry das Script zu lesen begann, schlug mein Herz schneller und auf meiner Stirn bildeten sich einzelne Schweißperlen. Ich wusste sofort, dass ich die richtige Stimme gefunden hatte. Er beendete den letzten Absatz mit den Worten: „Der Typ in dem Script, das bin ich. Ich habe sieben Jahre lang in einem Wohnwagen auf der Straße in Arizona gelebt.“.
Was für ein Richtungswechsel. Nicht die Werbesprecher aus München und auch nicht die vielen Schauspieler, die ich in Deutschland und Amerika traf, nein, ein Laiensprecher aus dem texanischen Hinterland hatte die perfekte, authentische Stimme für die Erzählung unseres Kurzfilmes. Was eigentlich auf der Hand liegt, denkt man genauer darüber nach. Ich hatte Deutschland mit negativen Gefühlen verlassen, verzweifelt und voller Zeitstress, und stolperte dann in Austin plötzlich über Justin und eine Reihe merkwürdiger Zufälle, die mich über wunderbare Begegnungen hinweg zu meiner finalen Stimme führen sollten. Was ich in Austin gelernt habe ist ganz einfach: du wirst in dem Moment inspiriert, in welchem du lernst loszulassen. Vertraue deinem Bauchgefühl und mach dich auf nach Lockhart ;)
So verwirrt wie ich diesen Morgen aus Austin aufgebrochen war, so glücklich fuhr ich am Abend zurück. Die Konzerte auf dem Festival hatten begonnen, die Straßen waren voll mit Menschen. Ein Meer unterschiedlicher Nationen und Kulturen. Die warmen Lichter der Skyline spiegelten sich in den schwarzen Pfützen der Gasse, in die ich von der lauten Musik und den Massen geflohen war.
Ein letztes Mal schaute ich hoch zu den Wolkenkratzern, bevor ich mich glücklich und voller Vorfreude auf die nächsten Wochen in mein Bett fallen ließ. Die finale Arbeit an den letzten Baustellen von BuildingBridges konnte beginnen.