Kühlturm

Kühlturm Highline in Charleroi, Belgien

Die Story aus dem Outdoormagazin RAUS! über unsere Highline im belgischen Kühlturm:

Es sind die senkrechten Strukturen, die nach oben ziehende Architektur, die den Highliner Johannes Olszewski faszinieren. Das Setzen einer urbanen Line inmitten einer der hässlichsten Städte Europas wird für ihn und sein Team zur Nervensache. Sieben Nächte Schweiß, Staub und Stress für den einen Moment auf 2,54 Zentimeter breitem Gurtband.

„Das Projekt Kühlturm ist gescheitert. Wenn du dies hier liest, weißt du, das wir etwas wirklich krasses geplant hatten.“ So oder so ähnlich lautet der Text auf der Postkarte, die Johannes, Armin und Mirko mit einem gigantischen Heliumluftballon in den Himmel eines April abends steigenlassen. Sie sitzen auf einem Kohleberg, vor ihnen die untergehende Sonne, um sie herum die leuchtenden Backsteinfassaden eines riesigen Industriearreals, in ihnen eine dicke PortionFrustration. Und jede Menge Staub. „Diese unfassbar hässliche Stadt strahlte in diesem Moment etwas eigentümliches aus, etwas ästhetisches. Sie hatte mit all ihren Fabrikhallen und Kühltürmen plötzlich ein schönes und einzigartiges Flair. Es war eine so friedliche Stimmung. Und wir schauten dem Ballon hinterher. Wir wussten, dass wir ebenso davonziehen mussten.“

Der Moment dort auf dem Kohleberg inmitten einer der hässlichsten Städte Europas markiert für Johannes das Ende seiner skurrilen Idee. Vier Nächte schuftet der Münchner zuvor gemeinsam mit  seinen Freunden und Partnern vom deutschen Slacklinelabel One Inch Dreams in einem 60 Meter hohen Kühlturm dafür, eine der spektakulärsten urbanen Highlines zu installieren. Tagsüber schlafen sie in einem, wie Johannes sagt, „abgeranzten Ein-Sterne-Hotel am Rande der Stadt, wo  sich Gäste mit Prostituierten vergnügen und das Essen unterirdisch ist“. Nacht für Nacht schleichen sie sich dann an der bewachten Pforte der Industrieanlage vorbei, steigen in den Kühlturm ein. „Die  Atmosphäre dort war unglaublich. Es gab eine wahnsinnige Akustik, alles, was wir von uns gaben,  hallte von den Wänden zurück. Wir fühlten uns leicht melancholisch, waren auf Entdeckungsreise.  Es gab einen morschen, knarzenden Holzsteg, das Knarzen hallte von den Wänden zurück. Die  Geräusche der Industrieanlage waren in der Ferne zu hören. Und aus dem Stahlbeton der Seitenwände ragten die Eisenlamellen, die im Licht unserer Stirnlampen skurrile Schatten warfen“,  erinnert sich der 21-Jährige. Der Heliumballon sollte sie eigentlich nach oben an den Rand des  Kühlturms befördern, um dort die Fixpunkte der Highline einzurichten. Die Schlepperei der 120-Kilo-Heliumflasche und die scharfkantigen Turmwände halten sie jedoch von dem waghalsigen  Manöver ab. Stattdessen klettern sie die Innenfassade hinauf. Auf den ersten 40 Metern ist die Wand  stark überhängend, mit einer Neigung von rund 15 Grad. Johannes klebt sich große Zimmermannsnägel als seitliche Steigeisen an die Schuhe und beginnt an einer 50 Zentimeter  breiten Betonlamelle, die bis zum oberen Kraterrand führt, den Aufstieg. „Durch die Betonstrebe führten Rasterbohrungen, die aber völlig zugekalkt und verrostet waren. Ich habe versucht, über Kopf eine Gewindestange durch eines der Löcher zu stecken. Das ging nicht, also meißelte ich das Loch frei, hakte mich dann über eine Prusikschlinge ein und setzte mich ganz vorsichtig in meinen  Gurt, um zu schauen ob es hält. Das gleiche dann auf der linken Seite für die Füße, dann meißelte  ich wieder über Kopf das nächste Loch frei. Zu dem Zeitpunkt war ich schon von oben bis unten voller Staub. Und das waren erst die ersten von vielleicht dreihundert Löchern, die wir bearbeiteten.“ Sie schuften im Akkord, legen pro Stunde rund einen Meter zurück. „Über die Zwischensicherungen wurden wir von unten über ein Kletterseil gesichert - technisches Klettern in  einem Kühlturm, sozusagen“, sagt er und lacht.  

Je höher sie gelangen, desto spröder wird der Beton. Immer wieder fallen dicke Steinbrocken  herunter. „Das zehrte extrem an unserer Psyche. Eine Highline besteht aus einem soliden Fixpunkt,  das ist essentiell. Und je höher wir kamen, desto schwindender und poröser wurde das Gestein.  Irgendwann mussten wir dann richtig klettern. Es gab in vierzig Metern Höhe eine Phase vom  Überhang ins Senkrechte hinein, bei der man einen fiesen Mantle-Zug machen musste. Mirko  schaffte es nach einigen Versuchen. Mit der linken Hand hielt er sich an der rostigen Stahllamelle  fest, schwang dann die Füße hoch und stand auf“, beschreibt Johannes einen der Schlüsselmomente.  Total ausgelaugt und vom Staub der Jahrzehnte völlig verdreckt benötigen die drei für die letzten 20  Meter noch einmal eine ganze Nacht. Schließlich hängt das Seil, das sie für den ersten Fixpunkt  benötigen, unter dem Kraterrand. Doch die Stimmung ist im Keller, Kraft und Motivation auf einem  Minimum. Der letzte Aufstieg der Drei führt zur Krisensitzung auf dem Kohleberg. Als der Ballon  in der Dämmerung verschwindet, treten sie die Heimreise an.  

Doch das Projekt lässt Johannes zuhause nicht los. Er stellt ein zweites Team auf. Alex, Basti und Marinus von One Inch Dreams sowie Fotograf Jan begleiten ihn rund zwei Monate später. Diesmal  wohnen sie in der WG von Olivier, dem einzigen Highliner jener ominösen hässlichen Stadt irgendwo im Westen Europas. In der Nacht kommen sie an, fahren direkt zum Kühlturm. Und  finden die Tür plötzlich zugeschweißt vor. Sie entdecken einen Alternativweg. „Das kochende  Wasser, das früher in dem Turm abgekühlt wurde, lief damals über ein komplexes Rinnensystem  und wurde auf das Holz gesprenkelt. Das Holz nahm das Wasser auf und gab es in Form von  Wasserdampf wieder ab. Entsprechend brüchig waren unsere Hölzer. Aber an denen mussten wir  hochklettern, um hineinzukommen. Durch eine Öffnung gelangten wir dann umständlich mit all  unserem Gepäck ins Innere. Eine ganze Nacht hat das gedauert.“ Marinus nutzt als  Versuchskaninchen jenes alte Seil, für das Monate zuvor vier Tage lang Arbeit investiert wurden. Es  hält. In der Morgendämmerung ziehen sie noch das mit Material gefüllte Haulbag hinauf. Und  fallen in die Koje.  

Die größte Herausforderung wartet noch auf das Team. Sie haben erst einen Punkt der Öffnung des  Turms erreicht. Das Setzen des zweiten Fixpunktes auf der gegenüberliegenden Seite kommt einer  Mammutaufgabe gleich. Der Kraterrand des Turms ist gerade einmal 40 Zentimeter breit, als sich  Alex vom Seil aus hinaufzieht. „Er hatte angeboten, diesen schwierigen Part zu übernehmen. Die Idee war, dass er auf diesem schmalen Rand in 60 Metern Höhe auf die andere Seite robbt und dort  den zweiten Fixpunkt einrichtet“, erinnert sich Johannes. „Das ging nur ohne Sicherung und ohne  Verbindungsseil zu uns. Wenn man sich absolut fokussiert, schafft man die Strecke, ohne  herunterzufallen. Aber es gab eine subjektive Gefahr. Es war unfassbar spannend. In einem Abstand  von vier Metern schauten aus diesem Rand mehrere fiese, dreidimensionale Blitzableiter heraus.  Eineinhalb Meter hoch und messerscharf. In dem Moment, als Alex auf den ersten zukroch, hatte er  eine extreme Panik. Aus dieser Panik heraus hat er dann gehandelt. Er ging die ersten vier Meter bis  zu dem ersten Blitzableiter, versuchte aufzusteigen, brach dann aber ab. Dabei hat er die ganze Zeit  geschrien und mit sich selbst geredet. Ich war jetzt dafür, dass wir die Aktion abbrechen“, sagt  Johannes. Zusammen mit Basti sitzt der Münchner nur wenige Meter schräg unter Alex im  Klettergurt und beobachtet die Aktion. „Für Basti und mich war das schrecklich mit anzusehen.  Basti hat dann auf ihn eingeredet, ihm gesagt, wie er es schaffen kann, ihn motiviert. Langsam hat  er sich beruhigt. Vor diesem ersten Blitzableiter saß er eine Stunde lang, in 60 Meter Höhe. Er bog  daraufhin einen Teil der Drähte um und schaffte es, über die Resthöhe zu klettern. Als diese Hürde  gefallen war, haben wir gemerkt, dass sich bei Alex etwas gelöst hatte. Jetzt lief es. Irgendwann ist  er dann im Dunkeln verschwunden. Und wir hörten nur noch sein Murmeln, Fluchen und Jubeln. Es  war eines der verrücktesten Dinge, die ich in meinem Leben erlebt habe. Und dabei bin ich nicht  mal selber über den Rand gekrochen,“ sagt Johannes. Zweieinhalb Stunden braucht Alex für die  Strecke zum gegenüberliegenden Ende des Kraterrandes, zwei mal pinkelt er sich auf der Strecke in  die Hose. Weil es schlichtweg keine andere Möglichkeit gibt.  

Es ist halb fünf am Morgen, draußen wird es hell. Alex lässt ein feines, dünnes Seil innen herunter,  zieht sich daran ein Statikseil hoch und lässt es auf der Außenwand des Kühlturms wieder ab,  sodass es auf beiden Seiten des Turms den Boden berührt. Marinus befestigt das Ende außerhalb des Turms an einem Baum, Alex setzt sich darauf an dem Einfachseil gesichert nach innen in seinen  Gurt. Auf der Länge dehnt sich selbst ein Statikseil um einen beachtlichen Wert, was Alex erneut  vor eine Herausforderung stellt. Als Alex unter dem Kraterrand im Gurt sitzt, richten sie den  zweiten Fixpunkt ein und riggen endlich die Line. Der Stein ist porös, sodass die Jungs ein Tubular Schlauchband aus Polyamid wählen. Es dehnt sich extrem, wodurch die auf die Fixpunkte wirkenden Schocklasten geringer sind als bei einer klassischen Polyester-Slackline. Zusätzlich  installieren sie ein Sicherungsseil parallel dazu in einem zweiten Paar aus Fixpunkten, über das der  Highliner bei einem Sturz gesichert ist. Als alles steht, ist es heller Morgen. Alex sitzt zu diesem  Zeitpunkt seit 16 Stunden in seinem Gurt, Johannes zwölf. Immer wieder sei er bei der Aktion in  seiner 55 Meter hoch baumelnden Hängematte eingenickt. Alex fährt im Morgengrauen mit einer  Seilrolle zu den beiden herüber.  

„Es war acht Uhr morgens am insgesamt siebten Tag, als wir am Kühlturm fertig waren. Ich hatte  als Ideengeber das Privileg, als erster drüber zu gehen. Und musste mich so zusammenreißen. Hatte  keinen Bock mehr auf diese Highline, war völlig fertig, wollte runter, alles sein lassen. Aber dann  habe ich nachgedacht, an die sieben Tage Arbeit. Völlig verfroren und müde habe ich mich auf die  Highline gehockt, meine Schuhe ausgezogen. Die Line hatte einen extremen Durchhang. Sie war  ganz ganz fürchterlich zu gehen. Vor allem für mich, ich war richtig fertig. Aber dann hat es  plötzlich alles gepasst. Basti hat mir Musik angemacht. Und als ich mich überwunden hatte, war es  eine extrem verzaubernde Situation. Ich spürte in diesem Moment die Quintessenz unserer Arbeit.  Dann kam die Sonne herein, schien über den Turm zu uns ins Innere, es wurde warm. Alex saß mit  seinen üblen Augenringen in der Hängematte. Und mir wurde auf einmal bewusst, warum wir das  machten. Wir zu dritt waren da oben und nie zuvor war jemand vor uns dort. Und an diesem  zweckmäßigen Ort hat nicht ansatzweise jemand so etwas gemacht wie wir. Es ist ein Ort der die  absolute Zweckmäßigkeit erfüllt, in der Maschinerie eines Kohlekraftwerkes Wasser zu kühlen.  Jedes Ding hat dort seinen Platz, alles hat seine Norm, jeder Arbeiter seinen Schichtbetrieb.  Transzendente Gefühle wie wir sie hatten, gibt es dort normalerweise nicht. Gemeinsam an der Line  zu sitzen und Musik zu hören, das kennt dieser Ort nicht. Für mich aber ist es eine Art von Kunst,  über diese Line zu laufen. Vor allem dann, wenn wir einen zweckmäßigen Ort mit etwas verbinden,  das nicht zweckmäßig ist, sondern etwas Freiwilliges, etwas, das aus unserer Motivation heraus und  tief aus unserem Herzen kommt. Dies zu vereinen, in einer der hässlichsten Städte Europas, in der  wir unsere Highline spannten – unbeschreiblich.“  

Johannes fängt an, die Line zu laufen. Doch er spürt die tagelange Nachtarbeit. Er benötigt rund 20  Versuche für die 27 Meter über den Kraterrand, ist danach einfach nur glücklich und erleichtert.  Alex ist als nächster dran, auch ihn kostet das Aufstehen auf die Line Überwindung. Im ersten  Versuch läuft er dann aber in einem Zug hin und zurück. Auch Basti läuft die Highline, Johannes seilt sich inzwischen ab. Als alles vorbei ist, bauen Marinus und Alex ab. „Ein riesengroßer Stein fiel uns in diesem Moment vom Herzen“, erinnert sich Johannes. „Das war der schönste Moment.  Wir saßen da unten in dem schwarzen Loch, fürchterlich verschwitzt, total dreckig, haben gestunken. Und waren einfach nur glücklich.“ Sie legen sich Schlafen, wachen am frühen Abend  auf. Und fahren in dieser Nacht nicht wieder in den Kühlturm. Sondern nach hause. Und irgendwo in der Nähe der hässlichen Stadt findet jemand eine seltsame Botschaft an einem gigantischen Heliumluftballon...

Auswahl Medienberichte

Chocoslack | The One Inch Dreams urban tower project


Johannes Olszewski über...

...seine Anfänge als Highliner
Ich war 13 Jahre, als ich zum ersten Mal auf einer Highline stand, kletterte zudem parallel. 2008begann sich meine Einstellung zum Klettern zu ändern. Ich fing an, größere Wände anzugehen undbegann mit dem Highlinen. Meine erste Slackline, die über eine Schlucht gespannt war, konnte ichim Sommer 2008 laufen. Eine meiner schönsten Highlines habe ich zusammen mit Bernhard Witzin der Eiger-Nordwand gespannt, 1000 Meter hoch.

...die Meteora-Felsen in Griechenland
Mein bisher größtes Kapitel. Ein James-Bond-Film hatte mich inspiriert, und in diesem Unesco-Weltkulturerbe haben wir abgefahrene Sachen gemacht. Eine unglaublich schöne Erstbegeher-Reise mit ganz besonderen Lines. Und für mich war das der Startschuß für meine Liebe zu den Bergen. Auf diesen 300 Meter hohen schmalen Felsnadeln leben Schildkröten, die von Vögeln dortabgeworfen werden. Einzigartig! Highline-Geschichte!

...Rekorde
haben überhaupt keine Bedeutung mehr für mich. Damals war ich jung und der Sport war es auch. Aber meine Zeit ist vorbei, ich halte da nicht mehr mit bei dem was an Rekorden gelaufen wird. Heute sehe ich für mich den Reiz darin, Sachen zu machen, die es noch nicht gibt. Einzigartige Kulissen, nicht Höhe oder Länge der Slackline.

...den urbanen Raum
Die Einzigartigkeit eines Ortes beim Highlinen ist entweder in der Natur oder im urbanen Raum vorhanden. Oftmals ist es einfacher, sie um Urbanen zu finden. Und dort hast du einen anderenBezug zur Umwelt, hast manchmal Zuschauer. Das Senkrechte und Horizontale, die Geradlinigkeit und Architektur, das Perfekte, von Menschenhand Geschaffene, das alles fasziniert mich. Klare Linien, die sich perfekt nach oben ziehen, gefallen mir einfach unheimlich. Nicht wegen der Daten und Fakten des Ortes, sondern weil wir es als unseren Spielplatz entdecken. An einem Ölturm darfst du normalerweise alles, nur nicht kreativ sein. Wir aber sind es.

...Ängste
Ein wesentlicher Faktor bei dem Sport den ich mache. Angst tritt oft auf, bei mir vielleicht ein wenig häufiger als bei anderen aus unserem Team. Sie zeigt mir, dass ich mit mir selber umgehenmuss. Ich muss eine Grenze überschreiten, um einen Zustand, der über der Angst liegt, zu erreichen.Ich sehe Angst aber auch als Warnsignal. Es passiert leicht, dass man sie überschätzt. Und manmuss sich bewusst sein, dass Angst auch bedeutet, dass eine tatsächliche Gefahr vorliegen kann.Wenn man damit umgehen kann, kommt man eine Ebene höher. Und lernt dazu.

...Sponsor
Elephant Slacklines ist unser Hauptsponsor und unterstützt uns auch finanziell bei Highline-Projekten. Wenn sie ein neues Produkt herausbringen, werden wir nach unserer Meinung gefragt und testen es aus, sind also Teil der Entwicklung. Zudem unterstützen wir sie bei ihren eigenen Events, wenn sie Sportler benötigen. Wie demnächst, wenn Alex eine super geniale Line übers Meer bei Helgoland laufen wird.

...Ziele
Ich will eine Highline über einen Vulkan spannen. Will in den großen asiatischen Städten Highlines über den höchsten Wolkenkratzern der Welt spannen. Mein Leben lang etwas in Unabhängigkeit und Freiheit machen, das mit dem Draußen sein zu tun hat. Und einen Oskar gewinnen.

 

Bilder von Jan Fassbender (www.janfassbender.de) und Johannes Olszewski